Top Thema: Europa - wohin gehst du?

28.10.2016

Die Diskussion über ein vereintes Europa konzentriert sich nicht auf pro und contra Europa, sondern auf die Frage: Was für ein Europa möchten die Europäer.

Ist es die Vision eines europäischen Staatenbundes der gewachsenen europäischen Nationalstaaten in einem föderalistischen System, in dem zum großen Teil souveräne Staaten einem europäischen Parlament verantwortlich sind, oder streben wir einen europäischen Zentralstaat mit einer europäischen Zentralregierung an.

In seiner bisherigen Entwicklung wurde die europäische Union mehr oder weniger vom Europäischen Rat in Brüssel bestimmt, wo die Regierungschefs die Richtlinien bestimmen, ohne die europäische Bevölkerung an der Gestaltung der europäischen Gemeinschaft teilnehmen zu lassen. Der Europäische Rat tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit mitunter auch nachts und erweckt so nicht nur das Gefühl eines undemokratischen Brüsseler Zentralismus sondern liefert mit seiner Intransparenz den antieuropäischen Populisten Argumente gegen ein solches Europa. Dieses Demokratie-Defizit erzeugt in allen EU-Staaten bei den Bürgern eine Orientierungslosigkeit, auf die weder ein Konzept über die politische Gestaltung, noch Antworten über die Grenzen der Europäischen Union gegeben werden.

Wo sind die Grenzen Europas im Eurasischen Kontinent und welche gemeinsame Werte halten diesen Kulturkreis als Wertegemeinschaft zusammen?

Wer sind unsere wirtschaftliche Partner und Nachbarn und wie können wir in Koexistenz mit ihnen ein friedliches Miteinander erreichen, damit gegenseitiges Vertrauen entstehen kann?

Europa muss endlich erwachsen werden und klare Konzepte erarbeiten, um seinen Bürgern und seinen Partnerländern klare Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung geben zu können. Vor allem müssen die europäischen Bürger bei der politischen Willensbildung und der Gestaltung Europas in demokratischen Prozessen beteiligt werden. Die Bürger sollten als erstes darüber entscheiden dürfen, ob sie ein Europa als Bundesstaat, mit einer Zentralregierung, oder ein Europa als Staatenbund souveräner Staaten mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, (sozusagen ein Europa der Vaterländer) haben möchten. Bisher sind sie nur zur Wahl des Europaparlaments gefragt, das nur ein begrenztes Initiativrecht im Gesetzgebungsverfahren hat. Nur durch demokratisches Mitwirken seiner Bürger in einer Solidargemeinschaft mit Transparenz in den politischen Strukturen kann die Vision eines vereinten Europa verwirklicht werden. Europa braucht mehr Mut zur Wahrheit.

Die Europäische Gemeinschaft wäre geradezu prädestiniert ein Bindeglied und Mittler zwischen Russland, den GUS-Staaten und dem amerikanischen Einflussgebiet zu fungieren. Doch die einseitige Haltung des Westens mit ihrem unflexiblen Festhalten an reformbedürftigen Organisationen und die Unerfahrenheit der verbliebenen Ostblockländer unter der Führung Russlands in Sachen Demokratie fanden nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion nie zu einem engeren Vertrauensverhältnis. Statt auf weitergehende demokratische Reformen zu drängen, ließ der Westen Moskau gewähren. Das Versäumnis beider Seiten mehr demokratische Verhältnisse und Vertrauen zu schaffen, wird vor allem dem vereinten Europa und die Weltgemeinschaft vor enorme Probleme bereiten. Ein großer Fehler war, dass Europa und vor allem Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, das 2001 im Bundestag vorgebrachte Angebot des russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Eurasische Freihandelszone zu schaffen, zu ignorieren.

Insbesondere der Nordatlantikpakt, die NATO als westliches militärisches Bündnis gegenüber der ehemaligen Sowjetunion blieb dem heutigen wiedererstarkten Russland ein Dorn im Auge. Putins Angst vor der Stationierung westlicher Nato-Raketen vor seiner Haustüre wie zum Beispiel auf der Krim sind für ihn nicht akzeptabel. Die westliche Allianz und damit auch Europa hat mit ihrem unsensiblen Verhalten, so gesehen, die Angliederung der Krim an Russland herausgefordert. Putin ist ein Stratege und weiß genau, dass der Westen keine militärische Auseinandersetzung will und verfolgt daher seine eigenen Ziele.

Eine erneute Konfrontation mit Russland ist ein Spiel mit dem Feuer und wer mit dem Feuer spielt, sollte auch Wasser zum Löschen haben. Das sollte sich der Westen zu Herzen nehmen.

Es wäre auch die Aufgabe Westens, in Zusammenarbeit mit Russland ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, um eine erneute Spaltung der Welt in zwei gegnerische Lager zu vermeiden.

Die Europäische Union könnte hierbei eine gewichtige Rolle einnehmen, denn wenn es den Europäern gelingen würde, eine eigenständige neutralere Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, könnten gegenseitige Ressentiments ausgeräumt und ein homogeneres Miteinander mit Gefühl für mehr Sicherheit geschaffen werden. Es gibt für Europa keine Alternative zu einer Politik des Dialogs und der Partnerschaft. In einer Politik der Konfrontation mit Russland wäre Europa der Verlierer. Europa hätte weder militärisch noch auf dem Energiesektor etwas entgegen zu setzen und wäre mehr denn je auf amerikanische Unterstützung angewiesen.

Aber von einem schlüssigen Konzept für die Innen- und Außenpolitik ist die Europäisch Union noch weit entfernt, denn das Problem der Verschuldung der westlichen Industriestaaten und die Eurokrise lassen den Europäern kaum Raum für eine ausgewogene zukunftsorientierte Außenpolitik. Zu viele verschiedene Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten müssen gebündelt werden um einen einheitlichen Konsens zu finden.

Noch wird Europa von Eurotechnokraten aus den Regierungen der Mitgliedsstaaten regiert, aber wenn dieses Europa zu einer homogenen demokratischen Einheit zusammen wachsen soll, müssen demokratischere Strukturen geschaffen werden. Getragen vom demokratischen Konsens seinen Bürger, sozusagen als Europa der Europäer, auf der Basis der bestehenden Staaten in einem demokratisch föderalen System.

Die Vorstufe zu einem vereinten Europa sollte deshalb ein Staatenbund sein, denn Europa lebt von seiner Vielfalt. Europa muss endlich lernen die einzelnen nationalen Interessen zu bündeln und eine übergeordnete, länderverbindende Europapolitik zu entwickeln, ohne sich in die inneren Kompetenzen der einzelnen Mitgliedstaaten einzumischen. Eingriffe in die inneren Strukturen der einzelnen Mitgliedstaaten würden ebenso wie ein zentraler Einheitsstaat, die Vielfalt der über Jahrtausende gewachsenen europäischen Kulturen zerstören. Das derzeitige Bestreben mit Gewalt einen Bundesstaat in Europa zu errichten lehnen die Reformer ab. Dazu bedarf es eines langen Übergangs der Angleichung.
Wir machen in Europa jedoch den Fehler, dass wir nach keinen geordneten Plan vorgehen und oft den zweiten Schritt vor dem Ersten machen. Das führt natürlich zu Irritationen und Missverständnissen unter den Bürgern.

Der Vereinigungsprozess hat zunächst auch nichts mit dem Euro als Einheitswährung zu tun, die eigentlich am Ende dieses Prozesses eingeführt werden sollte. Sicherlich können annähernd gleiche Volkswirtschaften dieselbe Währung haben, wenn sie nicht ab- oder aufwerten brauchen. Wenn aber Volkswirtschaften mit großen Leistungsbilanzunterschieden die gleiche Währung besitzen, kann der Wechselkurs nicht mehr durch Auf- oder Abwertung korrigiert werden, wie wir es im Euroraum erleben.

Für Europa wird es Zeit, seinen Bürgern eine klare Orientierung zu geben wohin die Reise geht, um die Vision von einem vereinten Europa zu erläutern und zu stärken, denn ohne Mitwirken seiner Bürger an der politischen Willensbildung wird Europa auf Dauer keinen Bestand haben.

Unser gemeinsames Ziel für ein vereintes Europa sollte am Ende ein föderalistisches Europa mit teilsouveränen Staaten mit eigener Regierung, eigener Legislative und eigener Exekutive mit einem demokratisch gewählten Parlament als oberstes Verfassungsorgan sein. Das in Deutschland praktizierte föderale System könnte als Vorbild dienen.

Die Europafrage ist daher abhängig von einem demokratischen Prozess des Zusammenwachsens unabhängiger Staaten, getragen von der Idee eines solidarischen Kulturkreises Europa. Ein Kulturkreis der zunehmend durch Aufweichung der kulturellen Werte zerstört wird.

Die Europäer wünschen sich zunächst ein Europa der europäischen Bürger, ohne die Diktatur der Eurotechnokraten, die mit Gewalt einen Europäischen Zentralstaat errichten wollen. Europa muss solidarisch und demokratisch von unten nach oben wachsen und nicht Diktatorisch von oben nach unten.

So bleibt am Ende die Frage nach der Zukunft Europas unbeantwortet.

Bleibt nur zu hoffen, dass Europa bald aus dieser Orientierungslosigkeit heraus seinen eigenen Weg findet.